Erzählungen & Romane & Sonstiges

Kollektive Leseerlebnisse in Golle

Zum "Golle"-Buch, übrigens dem bestverkauften meiner Bücher, hatte ich zum Jahreswechsel 2020/21 außerordentlich viele Rückmeldungen erhalten (siehe weiter unten Golle: Überwältigende Resonanz). Schon früh gab es die Idee, vor Ort – im Ort meiner Kindheit – eine Lesung durchzuführen. Die Pandemie hatte uns jedoch einen  Strich durch die Rechnung gemacht.

Im Oktober 2022 war es dann endlich so weit. Das Kulturamt der Stadt Riedstadt lud ein, der Eintracht-Fanclub EFC Goller Adler stellte sein Vereinslokal zur Verfügung und ich habe aus dem "Golle"- sowie dem zwischenzeiotlich erschienenen "Splitter"-Buch gelesen. Ein sehr unterhaltsamer und schöner Abend vor einer ansehnlichen  Kulisse, die (wie bereits drei Wochen zuvor die "Hobby-Lokal-historiker" in einer Gesprächsrunde mit mir) ihre Leseerlebnisse zum Besten gab. Das reine Vergnügen. Allen Beteiligten nochmals herzlichen Dank!

Vier Besprechungen zum "Splitter"-Buch

Die beiden obigen Buchvorstellungen sind erschienen in: Ried Echo vom 1. Juni 2022 und Odenwälder Echo vom 31. Mai 2022.

Das buch: Splitter bis zum Horizont und Kaugummi an den Schuhen – Autobiografisches 1951-1971. 2022, 218 Seiten, Euro 9,90. ISBN 9783755759355

Sätze, die hängenbleiben

Abitur machen, studieren, ins Theater gehen, für Kinder aus bürgerlichen Familien sind das oft Selbstverständlichkeiten. Nicht so für Albert Engelhardt, 1951 in Erbach als Sohn eines Eisenbahners geboren. Er, der „Gescheite“, ist der erste aus einer weit verzweigten Odenwälder – ja, darf man das sagen? – „Proletarier-Familie“, der aufs Gymnasium geht.

Sein autobiografisches Buch „Splitter bis zum Horizont und Kaugummi an den Schuhen“ behandelt die Jahre 1951 bis 1971. Erzählt wird vom Kind einfacher Leute, das es zwar nicht bis zum Traumberuf des Literaturkritikers bringt, aber immerhin bis zum leitenden Redakteur bei diversen Fachzeitschriften. Doch der soziale Aufstieg wird bezahlt mit dem Verlust der Heimat und der Großfamilie, ganz allgemein mit der Auflösung sozialer Bindungen.

Das Buch endet mit einer Heimfahrt des frisch gebackenen Marburger Studenten zu seinen Eltern. „Während jeder Heimfahrt, immer mit der Bahn, nimmt er sich vor, von sich zu erzählen, sein neues Leben den Eltern verständlich zu machen, sich zu bedanken.“ Doch dazu kommt es nicht. Zwischen dem Sohn und den Eltern herrscht Sprachlosigkeit. Erst 50 Jahre später, in einer dem Berufsleben nachgelagerten literarischen Lebensphase, findet der Sohn die passenden Worte, erklärt sich, stattet Dank ab und reflektiert. Szene für Szene lässt Engelhardt dabei eine Kindheit wieder auferstehen, die ihn einen klaren Klassenstandpunkt gelehrt hat. „Prolet ist kein Schimpfwort, doch ein Dasein, das man hinter sich lassen will.“ Ein Satz, der hängenbleibt. Wie viele aus diesem Buch.

Engelhardt schreibt seine Autobiografie nicht in der Ich-Form, das ist formal interessant. Protagonist ist „der Junge“. Das „Ich“ kommt nur vor, wenn der Autor die Erlebnisse des Jungen mit dem zeitlichen Abstand eines halben Jahrhunderts kommentiert. Man könnte diesen Erzählstil als distanziert empfinden, gerade für eine Autobiografie. Ich empfinde das nicht so. Engelhardt objektiviert, das ist sein Stil. Er sucht im Persönlichen das Allgemeine. Oder um Goethe zum Thema Autobiografie zu zitieren: „Ein Faktum unseres Lebens zählt nicht, insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte.“

Dieses Buch hat Bedeutung. Man kann es als Entwicklungsroman lesen, als eine Gesellschaftsgeschichte der jungen Bundesrepublik oder als eine Art kritische Heimatgeschichte des Odenwalds. Der Text gibt es her, er ist vielschichtig. Mich hat er sehr berührt, weil trotz aller Strenge in Sprache und Stil sehr starke Gefühle zu spüren sind: Schmerz und Trauer, aber auch Liebe. Zu den Eltern, „die alles für ihn getan hatten, immer tun würden.“ Ihnen ist das Buch gewidmet.                                                                                                                                 Christoph von Schwanenflug

 

Splitter der Splitter – Größeres, das aus dem Ganzen erwächst

Ich habe deine „Splitter“ sicherlich auch deshalb mit anhaltendem Interesse gelesen, weil es um Einen geht, der für mich im Zuge meines Lesens über das mir schon Bekannte hinaus noch weiter Gestalt angenommen hat - wörtlich und metaphorisch verstanden. Und auch gemeint in Bezug auf die ihn enger oder näher umgebenden Menschen von Vater, Mutter, Schwester und Bruder bis hin zu Mädchen, jungen Frauen, Freunden und frühen Kommilitonen und Kommilitoninnen. In diesem sichtbar werdenden sozialen Raum, der auch Innenräume im konkreten und psychologischen Sinne (hier insbesondere Vater und Mutter) umfasst, wächst ER heran und lernt es, sich als Einzelnen wahrzunehmen und als solchen zu behaupten.

Splitter als Schlüsselwort im Titel wird im Text sehr gut eingelöst. Sowohl in der nicht immer nur rein chronologisch angeordneten Szenenfolge als auch in den einzelnen Szenen selbst. Da vor allem in der Sprache, genauer noch in der Satzstruktur, in der meist knapp und kurz, gewissermaßen als Splitter der Splitter, etwas Größeres, das aus dem Ganzen erwächst, konturenartig erkennbar wird. Und so auch darauf verweist, das Erinnerung auch immer eine Art von Flickwerk bleibt. Ein Flickwerk, könnte man sagen, dass im autofiktionalen Schreiben kunstvoll zusammengeflickt Sinn und Wahrheit stiften kann - wenn man’s kann. In Splitter, und das ist gut so, wird ein diesbezüglicher Mangel spürbar, der als ein solcher etwas schafft, das ihn und auch sein Werk groß und ehrlich macht.                                                                              Corby

Schauplätze der Inspiration – und was daraus wurde

Es kommt vor, dass ein Augenblick, eine Situation zur Quelle der Inspiration werden. In den drei hier illustrierten Fällen war dies so. Dass die Anregung für eine Geschichte dann so weit geht, dass auch die zufällige Örtlichkeit realen Erlebens zu einem konkreten Schauplatz fiktiven Geschehens taugt, ist ein Glücksfall.

Ein  Paar am Nebentisch im Restaurant Des Rochers (in der Fotoreihe links) in Ploumanac'h hat mich im Sommer 2020 zur "Clara"-Erzählung (im Band Das blaue Boot) angeregt. Die Lokalität taucht dort unter ihrem wirklichen Namen auf. Die zwei Stunden am Nebentisch sind weitgehend authentisch. Die erzählte "Geschichte dahinter" ist reine Fiktion.

Das Manoir du Sphinx in Perros-Guirec findet sich in der Erzählung "Place de la Bastille, 17:30h" (in Blicke und Begegnungen) als Castel du Sphinx wieder. Die Quellen der Inspiration? Zwei alleinstehende ältere Herrschaften, Details ihrer Kleidung, der Oberkellner. Und natürlich der fantastische Blick durch das Panoramafenster. Die Jahrzehnte zurückreichende Geschichte von Charlotte und Gustave: Fiktion.

Das dritte Beispiel: die  gut besuchte Terrasse des (einfachen, sehr zu empfehlenden) Hummer-Lokals Le Macareux in Landrellec. Hier – in der titelgebenden Erzählung "Das blaue Boot" hat das Restaurant den Namen La Treubeurdine bekommen – haben nicht konkrete Personen, sondern allein die unbeschwerte sommerliche Atmosphäre, die bunte Schar der Gäste und deren Kommen und Gehen meine Fantasie angeregt. Das viele Jahre zurückliegende mörderische Geschehen und dessen "Wiederkehr" ... Fiktion.

"Das blaue Boot": Suchen, Verfehlen, Erinnern

Zehn Erzählungen, zehn entscheidende Augenblicke. Ein Mann räumt seinen Kleiderschrank aus und sein Leben auf. Ein „erstes Mal“, das tiefe Spuren hinterlässt. Zugfahrten und Bahnhöfe. Scheidung beim Hummeressen. Paris. Die Vergangenheit kehrt zurück. Braut und Brautmutter. Erste Lieben und alte Leidenschaft. Heuchelei bei gutem Essen. Straßenbahnfahrten durch die Jahrzehnte.

Die zehn Geschichten werden als Monologe, als Kammerspiel, als rückblickende Berichte oder als tönendes Schweigen erzählt. Das Personal: Ein alter Mann, eine reife Frau und ein junger Mann, ein Kind, ein Paar, noch ein Kind, zwei neugierige junge Frauen, ein einsamer Mann, ein Mann und seine Frauen, drei Paare, eine alte Frau.

 Das blaue Boot, 193 Seiten, 8,90 Euro. ISBN 9783752659887.

Leseeindrücke: Das blaue Boot

Stimme 1 (weiblich): (...) Beim Muschelessen finde ich die Beschreibung des Sonnenuntergangs einfach nur schön, und originell ist sowieso die ganze heiße Liebesgeschichte und dass das Ende an den Anfang gerutscht ist.

Die Zeit im Zug (...) wirklich gut gelungen, wie die Zeit und unser Leben immer schneller vorbei fliegt.

Und das Margarethenufer hat mich ja fast überfordert (who is who? und wer redet mit wem?), deshalb ein zweites Lesen mit Spickzettel...deine stilistischen Rafinessen merke ich erst nach und nach ... Also das Milieu ist nicht so meins, aber die Personen sind (wie immer) sehr gut beschrieben und es hat etwas Voyeuristisches, so hinter die Kulissen zu schauen.

Hau den Lukas! hat mir sehr gefallen....viele Erinnerungen. Das geht schon mit dem Bubikopf los, da musste ich gleich an die hübsche K. denken, und dann der Wiesenmarkt mit seinem magischen Kribbeln (super eingefangen)... auch an Besançon ...Menthe à l'eau... Sartre und Beauvoir... unbestimmte Sehnsucht. Fehlen mir nur noch die Doors mit Riders on the storm, die liefen des Öfteren. (...) Und gut, dass du wenigstens die Schokolade nicht verpasst hast - hoffentlich hast du ein ganz großes Stück geschnappt

Die Titelgeschichte. Das blaue Boot. Hast du das Titelfoto geschossen? Sehr treffend, finde ich, vor allem die ausgelatschte Sohle im rechten Schuh! Passt zum üblen Ende der netten Holländerin. Und wieder: tolle Personen-, Situationen- und Stimmungsbeschreibungen, ...fast als sitze ich auch auf der Terrasse und mampfe Crêpes und bestelle kühlen Cidre. Und wieder Verknüpfungen: so vieles hängt zusammen: David und Margaux...aber keine Details, nur Andeutungen - sehr dezent. (...) Zum Ende war ich richtig erleichtert: hat er doch verdient, der Fiesling... auch wenn das nicht so ganz legal ...

Wie immer: Deine ausführlichen Beschreibungen (Menschen, Gefühle, Essen, Landschaften, auch von Klamotten, immer mal wieder ein Faltenrock dabei...) und dann diese Überraschungen, ganz plötzliche unerwartete Wendungen machen das Lesen für mich soooo spannend.

Manchmal finde ich beim zweiten Lesen anderes als beim ersten Mal.(...)

 

Stimme 2 (männlich): (...) Deinem Stil, deiner Formgebung erkennbar treu bleibend gelingt es dir erneut, das Tiefe an der Oberfläche zu verstecken, sodass aufmerksame Leser es entdecken müssen und können (wenn sie es können). Insofern und anders gesagt, sind deine Figuren gewissermaßen Phänotypen, deren bühnenartiges Verhalten, Gebaren, Kommunizieren und so weiter individuell etwas darstellt, das über eine Vordergründig- und Flüchtigkeit hinaus einen entlarvenden Blick auf ein zeitbezogenes Allgemeines enthält. Eine Art des Versteckens nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst. Dass du das Geschehen meist sinnlich-konkret und detailreich einbettest in genießerische und (pseudo-) kulturelle Gepflogenheiten, dient sehr gekonnt dem oben angedeuteten Charakter des Erzählten.

Das nur mal kompakt und in Kürze gesagt, verbunden mit einem Dank für ein paar interessante Lesestunden.

Hier noch ein winziges Detail, das mir sehr gut gefällt und dein Stilvermögen insgesamt unterstreicht. Ich meine die Stelle in der Erzählung Das Muschelessen (auf Seite 39), wo Camilla und Thomas nach ihrem teppichgedämpften Holzboden-Akt die Waldhütte verlassen, du ganz beiläufig die Sätze einbaust: "Ein Fuchs verschwand im Unterholz. Fast Vollmond." (...)

 

Stimme 3 (weiblich): (...) also die Titelgeschichte Das blaue Boot ist gelungen. Wow, wow, wow.

Ich finde, bei der Story stimmt einfach alles - die Atmosphäre, der sommerliche späte Morgen, der in die Mittags- und Nachmittagszeit übergeht, die Charaktere und ihre verschiedenen Lebensphasen sowie das Crime-Element. Dazu kommt eine wahrhaft genussvolle Note durch die Beschreibung der verschiedenen Gerichte und Getränke (ich konnte die Galette förmlich auf der Zunge spüren). Einfach wunderbar.

Jeder dieser Charaktere hat ein Eigenleben. Deswegen war mein spontaner Gedanke, das könnte ein guter Film werden, weißt du, so ein französischer C'est la vie-Film, bittersweet, aber realistisch. Zweiter Gedanke, das gäbe auch eine gute Netflix-Serie. Die einzelnen Episoden würden immer mit der Szenerie auf der Terrasse anfangen, und den individuellen Schicksalen der Charaktere bzw. der Paare wäre jeweils eine Folge gewidmet, mit dem unterliegenden Motiv, dass vor 20 Jahren etwas ganz in der Nähe passiert ist, das fast alle Beteiligten irgendwie aneinander bindet. Eine Folge müßte dann eine komplette Rückblende sein. Der Fotograf und die Mädels mit ihren Bikinis und Minis hat die Zeit der Supermodels evoziert, Claudia Schiffer, Naomi Campbell usw. Memories.

Die Tränen des Glücks fand ich rabenschwarz. Da kommt so ein richtiges Gänsehaut-Feeling auf. Oh dear, so sieht Altern aus.

Auch der Abend am Margarethenufer hat ein paar Grusel-Elemente, aber gut auf den Punkt gebracht, wie Fassaden gewahrt werden und Mißverständnisse entstehen.(...)

Golle: Überwältigende Resonanz

Ich mache es kurz: Meine Kindheitserinnerungen Golle Eine Kindheit in Goddelau (Ried) 1955-1965 wurden binnen weniger Wochen mehr gekauft als meine beiden Romane „Wolkenschieber“ (erschienen 8/2018) und „Das andere Land“ (9/2019).

Und was mich noch viel mehr beeindruckt: die ungeheure Resonanz ehemaliger Mitschüler und Mitschülerinnen.

Manche(r) wird sagen: Kein Wunder! Denn das Interesse am Buch lässt sich zweifellos erklären. Ein Buch über das Dorf der Kindheit, über die Heimat (wo doch recht viele heute noch leben). Ein Autor, den man genau aus dieser Zeit (aber nur aus dieser Zeit!) kennt. Erinnerungen, die man als Leserin und Leser teilt. Fragezeichen des Autors, auf die man eine Antwort weiß. Beschreibungen, die bestätigt oder korrigiert oder ergänzt werden können.

Erlebnisse, Ortsansichten, Beziehungen und Veränderungen, die so oder ähnlich auch auf jedes andere (hessische) Dorf der 50er und frühen 60er Jahre zutreffen können.

Nach fünfundfünfzig kontaktlosen Jahren hat sich binnen weniger Wochen ein reger E-Mail-, SMS-, Facebook- und WhatsApp-Verkehr mit rund zehn „Ehemaligen“ entwickelt. Ein zum Teil sehr persönlicher Kontakt.

Das Schönste: Alle haben sich über das Buch gefreut. Alle finden es gelungen. Und – das mich am meisten freuende und beschäftigende Leseerlebnis: Meine Erinnerungen haben ihre verschütteten Erinnerungen geweckt und aus den Untiefen eines ganzen Lebens wieder an die Oberfläche geholt. Mehr kann ich mir als Autor nicht wünschen.

Ein Wunsch bleibt für die Nach-Corona-Zeit: Ein persönliches Wiedersehen nach fünfeinhalb Jahrzehnten, das angeregte Sich-Erinnern im Kreis von einigen Ehemaligen.

Golle – Kindheitserinnerungen 1955-1965

Die Idee zu diesem Buch wurde im Frühjahr 2020 geboren, auf dem Rennrad, im Ried, während der Durchfahrt durch Goddelau. Diese Tour hatte ich in den vergangenen Jahren regelmäßig gemacht – in der Regel im Frühling und wegen des flachen Geländes, das den Saisoneinstieg erleichtert. Alles in allem jedes Jahr fünf oder sechs Mal zwischen Februar und Mai. Eine Rückkehr.

1965 zogen meine Eltern, meine Schwester, mein damals erst dreijähriger Bruder und ich wieder dorthin, woher die Familie 1955 nach Goddelau zugezogen war: nach Erbach im Odenwald. Ins Ried kamen wir aus beruflichen Gründen – mein Vater war Eisenbahner, und Goddelau-Erfelden war ein relativ wichtiger Bahnhof.

Der Abschied von Goddelau war für mich und meine zwei Jahre jüngere Schwester Astrid sowie vor allem für unsere Mutter ein schwerer, trauriger Abschied. Für mich war es der Abschied von meiner Kindheit – also auch von all den Freunden und Nachbarn, vom Fußball in der TSV-Jugend, von den Straßen, vom Schwimmbad, von geheimen Verstecken, den ersten Kippen und von der ersten Freundin. Abschied von all dem, was mich bis 1965 – also sozusagen das ganze bisherige Leben lang – begleitet und geprägt hatte.

Zurück aufs Rennrad. Bei den diesjährigen Touren habe ich genauer auf Details geachtet, zum Beispiel auf verschwundene Geschäfte und Gaststätten. Ich erinnerte mich an den Aushangkasten der Fußballer und den Kartoffelacker, auf dem ich meine ersten Markstücke verdient hatte. Ich hatte schon in den Jahren zuvor die alten Wohnadressen von Schulkameraden und beliebten Mädchen angesteuert – meist vergeblich. Ich habe den Hof des in meiner Erinnerung reichsten Bauern und die Adresse der nach meiner Erinnerung vermutlich ärmsten Bauernfamilie wiedergefunden. Ich wusste noch, wo es das beste Eis und wo es das billigere Wassereis zu kaufen gab. Meinen Kindergarten und die Volksschule fand ich am gewohnten Ort, das Kino war verschwunden, wie unsere Apotheke. Der Friseurladen war noch da! Überhaupt: Die örtlichen Koordinaten haben sich in den vergangenen mehr als fünfzig Jahren erheblich verschoben

Zum Buch muss unbedingt gesagt werden: Es speist sich aus meinen Erinnerungen, aufgefrischt durch die erwähnten Durchfahrten mit dem Rad. Ich sage dies deshalb, weil Erinnerungen trügen – trügen können oder gar trügen müssen. Ich habe in den seit 1965 vergangenen 55 Jahren nur drei kurze Gespräche in Goddelau geführt. Zwei davon eher zufällig im Frühsommer 2020. Ich bin im Grunde genommen 1965 gegangen und 20230 zurückgekehrt. Ich habe mich deshalb bei der Niederschrift bewusst dafür entschieden, nicht extra vor Ort genauer zu recherchieren. Zwei in der Stadtbücherei ausgeliehene Fotobände (die kaum Abbildungen aus den mich interessierenden Jahren enthielten) und vor allem drei Alben unserer Familie (denen die in diesem Buch veröffentlichten rund 40 Fotos entnommen sind), wurden zu visuellen Stützen und Krücken, die mir halfen, mich meiner Erinnerungen zu vergewissern.

Das vorliegende Buch soll mit all seiner Unvollständigkeit und seinen Ungenauigkeiten vor allem eins sein: ein Erinnerungsbuch an eine schöne Kindheit. An zehn Jahre in einem so nicht mehr existierenden Dorf. Jahre, die offenbar so erlebnisreich und eindrucksvoll waren, dass ich bis heute den Preis für einen Dreipfünder oder drei Schoppen Milch erinnere, sehr viele der Namen meiner 46 Mitschüler und Mitschülerinnen (und die der TSV-Jugendmannschaften C II und C I) aufsagen kann, und Haus und Hof darauf verwetten würde, wo Hartung VIII über dem Eingang eines Haushaltswarengeschäfts geschrieben stand, und in welchem Schuppen ich zum ersten Mal von Akim und Sigurd gelesen habe.

Es hat immer einen Grund, dass wir uns an manches gern, an anderes eher ungern erinnern. Und es gibt eben auch Erinnerungen, die mit den Jahren immer wieder neu gedacht, erzählt, verfestigt oder verändert werden. Das Vergangene ist verschwunden, es wird immer nur erinnert. Wie ein Puzzle werden die Realität und die Erinnerung immer wieder neu zusammengesetzt, beeinflusst vom Heute. So bleibt es auch nicht aus, dass manches nicht nur aus der Wirklichkeit verschwindet, sondern eben auch aus der erinnerten Vergangenheit – aus unserer persönlichen Erinnerung.

Das Buch wurde auch deshalb geschrieben.

 

Golle – Eine Kindheit in Goddelau (Ried) 1955-1965 (ISBN 9783752629088; 106 Seiten, reich bebildert, 9,90 Euro) ist über jeden guten Buchladen oder über www.bod.de/buchshop und  andere Onlinehändler zu beziehen.

Wiesbaden, das Taubertal, Zürich, Eltville, Berlin, Rothenbaum, der Bodensee

Im August 2020 erschienen: Drei neue Geschichten, die mit allerhand Personal aufwarten und auch noch weitere Schauplätze bespielen: die Côte de Granit Rose, den Balaton, Usedom und die Müritz, die Westschweiz und Karl-Marx-Stadt, London und Cuxhaven.

 

Frühstück im Café. Eine zufällige Begegnung, aus der ein regelmäßiges Wiedersehen wird. Eine flüchtige Bekanntschaft, die einem Paar viel verspricht. Grenzen werden erkundet, Erwartungen auf die Probe gestellt.

Zürcher Episoden. Ein Platzregen löst die Schreibblockade einer Autorin und wirbelt die Tagesroutine von fünf Männern und fünf Frauen durcheinander. Zufällige Paarungen voller Überraschungen.

Die Villa am Rhein. Drei Paare auf dem Weg zu einem Wochenende im Rheingau. Eine langjährige Männerfreundschaft, illegaler Kunsthandel in der Vor- und Nachwendezeit, eine den drei Frauen unbekannte junge Fotografin. Wechselvolle Lebensgeschichten, die im Nachher fortgeschrieben werden.

Drei Erzählungen, die die Tragweite flüchtiger Begegnungen, das Zufällige im Alltagsgeschehen und die Unmöglichkeit des Vergessens ausloten. Geschichten über Gier und Begierde, Enttäuschung und Glück.

 

Die Villa am Rhein (ISBN 9783751969949; 212 Seiten, 8,90 Euro; auch als E-Book erhältlich) ist über jeden guten Buchladen oder über www.bod.de/buchshop und  andere Onlinehändler zu beziehen.

 

Leseeindrücke: Die Villa am Rhein

Es sind illustre Paare, die der Einladung in eine idyllisch am Rhein gelegene Villa folgen. Kunstbeflissene Genussmenschen, die sich auf das Wochenende im Rheingau freuen. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten offenbaren sich bei jedem von ihnen Brüche: Wer hat hier wen mit wem betrogen? Welche Rolle spiel der abwesende Hausherr beim Handel mit Kunst? Und ist die wirklich echt? Und schließlich: Wurde seine Tochter von seinem Geschäftspartner missbraucht?

Es sind zum Teil sehr bittere Fragen, die hinter der schillernden Fassade von Reichtum und erlesenem Geschmack lauern. Der Wiesbadener Autor Albert Engelhardt wirft sie in seiner titelgebenden Erzählung Die Villa am Rhein auf. (...)

Ihn interessieren vor allem Paarbeziehungen, aber auch Flüchtigkeiten und Zufälle. Beides spielt auch eine Rolle in der ersten Erzählung seines Bandes, Frühstück im Café. Zwei Menschen lernen sich hier kennen – und verpassen die Chance auf eine Beziehung. Hier hat man deutlich eine Szenerie aus Wiesbaden vor dem geistigen Auge. (...)

Sein neues Buch liest sich nicht nur durch das Lokalkolorit spannend. Warum eigentlich spielt es im Rheingau? "Mich hat der Kontrast zwischen der sanften Landschaft und den bösen Geschichten hinter den Figuren interessiert." Ein reizvoller Kontrast, der den Band gut trägt, dessen Rätsel im Kopf des Lesers weitergesponnen werden.

Birgitta Lamparth, Wiesbadener Kurier, 25. 9.2020

 

Ich hab sie gelesen, deine Erzählungen, und gestern dann noch ein zweites Mal. Bemerkenswert finde ich vor allem ihre Form, die beinahe etwas Marionettenhaftes hat, etwas in der personalen Kommunikation puppenspielerisch Verknapptes, und sehr gut mit dem Inhalt gewissermaßen in einem dialektischen Werden (250 Jahre nach Hegels Geburt) zu einem gelungenen (Nicht)ganzen führt. Worin eben dann auch die Stärke liegt. Wie sagte schon Hugo von Hofmannsthal? "Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche." Schon ziemlich gekonnt, was du da in Worte gefasst hast. Corby, Wiesbaden

 

(...) Übrigens: Der von Alphonse und Bettina gewählte Meersburger Wein (Die Villa am Rhein) war ausgezeichnet. Ich habe ihn mit meiner Frau zusammen getrunken. Und die zweite Geschichte (Zürcher Episoden) habe ich auch gelesen und sie hat mir sehr gut gefallen. Toll fand ich ganz besonders die verschiedenen Ebenen, mit denen du spielst, und die Auflösung am Schluss. Klaus, Greifswald

 

Ich habe dein Buch Die Villa am Rhein mittlerweile nicht nur erworben, sondern auch gelesen. Wie gewohnt erfreut deine lebendige und direkte „Schreibe“. Was ich sonst nochdazu sagen möchte, steht eigentlich hinten auf dem Cover: „Verstörende Geschichten“. „Erwartungen stoßen an ihre Grenzen“: das ist ein interessantes Thema, das sich durch die Erzählungen zieht. Wie geht man mit Erwartungen um, wie entwickeln sie sich im Laufe der Geschichte und wie scheitern sie?

Vielleicht hätte ich mir z.B. beim Frühstück im Cafe noch etwas mehr über das Warum erhofft, also die „inneren Bremsen“, das irgendwie nicht intensiver auf den Anderen eingehen können. Aber es sind halt auch „nur“ Erzählungen.

In der Villa-Geschichte wird über die „Komplikationen“, die Leben so mit sich bringen kann und welche Schwierigkeiten sich manchmal auftun damit umzugehen, meiner Meinung nach vielleicht ein wenig überspitzt, aber phantasievoll geplaudert. Anregende Erzählungen! Werner, Wiesbaden

 

Inzwischen habe ich Die Villa am Rhein gelesen und bin ziemlich angetan. Du hast einen sehr scharfen Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen. Die erste Geschichte (Frühstück im Café) fand ich bittersweet. Sie hat mich an meine Lieblingsgeschichte (Place de la Bastille, 17:30h) in Blicke und Begegnungen erinnert. Die Mischung aus leiblichem Genuß, Sehnsucht und undefinierbarer Begierde bekommst du richtig gut hin.

Die Titel-Story Die Villa am Rhein, liest sich spannend, weil vieles nur angedeutet, und der eigenen Phantasie Raum überlassen wird. Deine Sprache ist wunderbar und ausdrucksstark. Ich habe mich gefragt, was mit Sara eigentlich wirklich passiert ist. Aber vielleicht habe ich da auch etwas überlesen... (...) Congratulation zur Besprechung im Wiesbadener Kurier. Weiter so... Doris, Auckland

Also, Deine Erzählungen in Die Villa am Rhein habe ich sehr gerne gelesen (sogar 2 x). Du hast immer (mindestens) eine Überraschung oder unerwartete Wendung parat. Das gefällt mir. Lachen musste ich z.B. über den eitlen Fatzke, der aus dem Fenster gehechtet ist.

Schön finde ich auch die vielen Details in Deinen Beschreibungen, ob das nun zu Literatur, zu Landschaften, zu Schuhen oder zu Marmeladen-Croissants geschieht...und das puzzleartige Verwirrspiel in Zürich musste ich wirklich nochmal rückwärts lesen, bis ich es kapiert hatte...toll gemacht.

Die Villa am Rhein kommt zu Recht am Ende des Buches ...das Beste kommt am Ende. Wie da die Fäden der drei feinen Herren nach so vielen Jahren zusammen laufen und alle/s mit allen/allem zusammenhängen/t. Meine Lieblingsstelle: "Meine Gedanken haben mich entführt." Regina, Rottenburg
 

Die Villa am Rhein ist eine längere von drei Erzählungen in einem Buch gleichen Titels von Albert Engelhardt. (Er) beschreibt darin Beziehungen von drei recht unterschiedlichen Paaren und Momente der Begegnung in besagter Villa am Rhein. (...) Rückblenden auf frühere Zeiten, illegaler Kunsthandel in Vor- und Nachwendezeiten, Männerfreundschaften, dunkle Geheimnisse, eine gute Portion Sex und extravagante Charaktere machen die Erzählung zu einem besonderen Lesegenuss... Engelhardts Schreibstil ist angenehm und fesselnd.

Auch die weniger lange Erzählung Frühstück im Café folgt einem ungleichen Paar über eine gewisse Lebensstrecke, beschreibt Szenen des Näherkommens und des Sich-Entfernens. Beide Erzählungen zeigen, dass Albert Engelhardt offene Geschichten liebt... (...)

Die dritte Erzählung Zürcher Episoden schildert zufällige Paarungen voller Überrraschungen. (...)

Christa Kaddar, Rheingau Echo, 15.10.2020

Neun Geschichten: Blicke und Begegnungen

Flüchtige Begegnungen können ein Leben verändern. Manche bleiben unbemerkt. Die in diesem Band erzählten neun Geschichten handeln von diesen und noch mehr Möglichkeiten. Sex and Crime, Träume und Illusionen, Poesie und Alltag. Eine Zugfahrt, ein Haus auf Lanzarote, ein Schaukelstuhl und ein Schreibtisch. Ein ganzes Leben. Eine Bibliothekarin und ein ehemaliger Kirmesboxer, Kommissar Maigret und Bella Block, eine geheimnisvolle Bretonin und ihr junger deutscher Liebhaber, Alenka und ihre dankbaren Männer. Sie alle und viele andere erleben die Flüchtigkeit einer Begegnung, erinnern sich eines Blicks und finden darin vielleicht sogar ihr Glück.

Neun Erzählungen sind in meinem gerade erschienen Band Blicke und Begegnungen (BoD 2020, 216 Seiten, 8,90 Euro, E-Book: 5,49 Euro; ISBN 9783750430945) versammelt. Drei der Geschichten wurden bereits 1993 geschrieben, die sechs anderen entstanden im Sommer und Herbst 2019. Die Titel der Erzählungen lauten: Place de la Bastille, 17:30h; Haus Nummer fünf; Der Junge mit der Luftpumpe; Verlorene Zeit; Alenka; Begegnung am Cap Fréhel; Krasnodar – Cannes; Puzzleteile, mörderische; Der ergaunerte erste Kuss.

Der zum  Jahresbeginn 2020 erschienene Band ist über jeden guten Buchladen zu beziehen oder über www.bod.de/buchshop und fast jeden anderen Onlinehändler.

 

Leseeindrücke: Blicke und Begegnungen

Deine Blicke und Begegnungen finde ich sehr gelungen und ich habe sie sehr neugierig gelesen: wehmütig (Haus Nummer fünf), lustig (Alenka), überraschend, spannend, raffiniert (Puzzleteile, mörderische) (…) Und dann soooo viel geliebte französische Luft, ein Latwerschebrot, der Abstieg beim Wandern, dein Blick für Schuhe, das Ende der BH-losen Zeit, der freche Spatz, BEA im Zug, beflissene VHS-Frauen … und noch Vieles mehr. Glückwunsch!

 

(…) Als erstes habe ich die Geschichte, die du den LZ-Kolleginnen gewidmet hast, gelesen (Verlorene Zeit). Ich musste ein paar Mal laut auflachen. Die Pflaumenmarmelade ist natürlich etwas ganz anderes als Latwersche. Köstlich! Die Werbe- und Marketingsprache hast du gut getroffen, ebenso die entrüstete Feministin. Lese ich richtig, dass die LZ dich vor dem Wahnsinn gerettet hat? (…) Als nächste habe ich die erste Geschichte (Place de la Bastille, 17:30h) gelesen. Die fand ich sehr berührend, ja eigentlich richtig romantisch. Und sehr genüsslich, wie du das Essen beschrieben hast. (…) Ich hatte mittlerweile Zeit, weitere Geschichten aus Blicke und Begegnungen'zu lesen. Die Elodie-Story (Haus Nummer fünf) hat mich sehr traurig gestimmt, während die wirklich düstere Geschichte vom Jungen mit der Luftpumpe mich auch zum Lächeln gebracht hat. Die Puzzleteile, mörderische habe ich nicht so richtig kapiert. (…) Mir gefällt dein Schreibstil, deine frankophile Ader schimmert in fast jeder Geschichte durch.

 

Deine Blicke und Begegnungen habe ich mit Interesse und Spaß gelesen. Überraschend war, dass ein "prächtiger Hintern" (Begegnung am Cap Fréhel) sich irgendwo hinsetzen kann. Was ist mit dem Rest, der an dem Hintern dranhängt, lungert der woanders rum? Hat es der besser als der Hintern? Ist dir so ein Einzelteil schon mal begegnet? Man lernt halt nie aus. (…)

 

Blicke und Begegnungen: ...eine wunderschöne Geschichte von Gustave und Charlottte (Place de la Bastille, 17:30h). Die Orte sind mir alle vertraut.

 

Blicke und Begegnungen: Gerade Verlorene Zeit gelesen. Der Duktus gefällt mir. Holt mich ab. Ein Jahr des Übergangs. Von Proust zum Point of Sale. Wahnsinn. Ein autobiografischer Entwicklungsroman in Tagebuchform.

 

Ich habe mittlerweile einige Geschichten aus deinen Blicke und Begegnungen mehrfach gelesen und bin zu dem Schluss gekommen, dass die erste Story (Place de la Bastille, 17:30h) meine Lieblingsgeschichte ist. Sie ist einfach wunderbar, poetisch, kulinarisch, politisch und sehr menschlich. 

 

Die Illusion der Wolkenschieber

Auch Illusionen und Träume geben uns die Kraft, das Weite zu suchen und das Gewohnte zu verlassen. Vom Marktplatz einer kleinen Stadt über den Campus einer Universität bis zum bretonischen Cap Fréhel führt der Weg von zwei Freunden und ihren "petites amies". Am Ende dieser mehrmaligen Reise über drei Jahrzehnte sind sie andere geworden. Ihre Wege haben sich getrennt, ihre Freundschaft hält.

Enttäuschungen und Sehnsüchte führen zum Streit und sind ihnen doch gemeinsam. Alte Liebe hält dem Stand. Beruf und Familie fordern ihren Tribut. Neue Liebe lockt. Die Welt hat sich verändert. Und die Träume der nachgewachsenen Generation sind andere als die der mittlerweile Alten, und sie gleichen sich vielfach doch.

Was 1977 mit der ersten Frankreich-Tour in einem klapprigen R4 begann, endet 2007  mit einem wunderbaren Abend im Kreis alter und neuer Freunde.

Albert Engelhardt, Die Wolkenschieber oder Drei Sommer am Cap, BoD 2018, 412 Seiten, 12,90 Euro (E-Book 9,49 Euro), ISBN 978-3-7528-2828-3. Zu beziehen über: www.bod.de/buchshop

und in jedem guten Buchladen.


Leseeindrücke: Wolkenschieber

Besonders beeindruckt haben mich die Begegnung zwischen A. und Jules (Zweifel und Verzweifeln) und die Beschreibung des Dicken Daumens (was dieser Stein so alles erlebt haben mag). Auch die Gedanken zu den Leerräumen (zwischen Bierdeckeln, Markstücken und Sandkörnern) oder zum Formationswechsel (Wolken, Gesellschaft) fand ich ausgefallen (…) Noch ein Eindruck zur diffizilen und aufrichtigen Männerfreundschaft zwischen A. und B.: sehr realistisch, auch das Gefühl von C., davon ausgeschlossen zu sein. Regina P., Rottenburg

 

Am Anfang haben mich die vielen Attribute gestört, die geradezu jedem Substantiv zugeordnet sind. Weiß nicht, ob ich mich im Laufe des Lesens daran gewöhnt habe – oder ob es später weniger geworden sind. (…) Insgesamt war es ein Spaß, das Buch zu lesen, und ich habe mir auch schon zum Verschenken an ‚alte Freunde‘ Nachschub bestellt.“ Heike H., Ludwigshafen

 

Sehr gefallen hat mir der Schluss, wo die Stille durch das Zittern der Pappeln durchbrochen wird. Toll auch das Bild von den Zwischenräumen, die keine Leerräume sind. Gefallen hat mir das Bild von all dem Unausgesprochenen, dem Schwemmsand, in dem Connie fürchtet zu versinken. Und ebenfalls Connie, die die glücklichste oder die unglücklichste Frau der Welt wäre, wenn sie sich damals auf Dora eingelassen hätte, und nun beides nicht ist. Ein Gedanke, der mich inspirierte, wie auch das Bild von den Fischern, denen ihre gelben Schürzen und Gummihandschuhe irgendwie das Männliche nahmen. Holger Oe., Hollenstedt

 

Einige Passagen fand ich verstörend (der Mann, der sich aufhängt; die Pornokiste, die Kriegsbilder enthält; Bennos Verschwinden), doch sie regen zum Nachdenken an. (…) Die Landschaftsbeschreibungen fand ich exzellent. Optimistisches Ende. Das gefällt mir.  Doris E., Auckland

 

Und ebenso distanziert wie seinen Protagonisten widmet sich Engelhardt seiner Heimatstadt und vermeidet es so, in eines der üblichen Muster der Beschreibung jugendlicher Heimat zu verfallen: Wenn Engelhardt beschreibt, wie sich das Leben in der Kleinstadt jener Jahre fast vollständig um das Graf-Franz-Denkmal auf dem Marktplatz dreht, oder an die schon im Stadtbild ersichtliche Unterprivilegierung der in den Odenwald gekommenen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert, dann taugt das weder als Verriss noch als Schönfärberei. Gerhard Grünewald, Odenwälder Echo, 23.10.2018

 

Das andere Land und die Anderen

1990. Eine junge Frau kommt im Frankfurter Stadtteil Bockenheim zu Tode. Unfall oder Mord? Drei Männer geraten in Verdacht. Sie kannten bis zu dieser Septembernacht die Tote nur flüchtig oder  garnicht. Auch die drei Männer hatten sich erst am Nachmittag auf einem Straßenfest und während des anschließenden Kneipenabends kennengelernt. Es sind Frauen, die sich um das Gedenken und die Aufklärung des Kriminalfalls bemühen. Vergebens.

2015. Der viele Jahre zurückliegende Todesfall erregt erneut die Gemüter. Es ist von einem  Roman die Rede, der die Stunden und Tage vor dem vermeintlichen Mord minutiös beschreibt. Die drei ehedem verdächtigten Männer geraten  ins Visier eines ehemaligen Kriminalbeamten. In Maastricht und Hamburg, Berlin und Manavgat und natürlich immer noch in Bockenheim machen sich der Ermittler und die drei Männer getrennt von einander auf die Suche. Ihre Erinnerungen sind verblasst, ihr Gewissen meldet sich. 

1990/2015. Nicht nur zahlreiche unmittelbar oder indirekt Beteiligte verbinden die Jahre 1990 und 2015. Auch das, was landläufig "die Flüchtlingsfrage" oder noch ausgrenzender "die Asylantenflut" genannt wird und das Land und seine Menschen auf die Probe stellt, gehört zu den zweieinhalb Jahrzehnten, die mein Roman Das andere Land oder Siesta am Kanakenbunker  (ISBN 978-3-7412-7576-0, BoD 2019, 487 Seiten, 14,90 Euro (E-Book 9,99 Euro) durchschreitet. Es überrascht, wie wenig neu manche gegenwärtig so heftig umstrittene Herausforderung ist. Und es gibt zu denken, dass Humanität, Menschenrechte und Solidarität heute aktiver und sichtbarer als vor 25 Jahren gelebt und verteidigt werden müssen.

Zu beziehen über: www.bod.de/buchshop

und in jedem guten Buchladen.


Leseeindrücke: Das andere Land oder Siesta am Kanakenbunker

(...) Es ist ein feuchtfröhlicher Abend am Kurfürstenplatz. Er beginnt als Straßenfest, er endet mit einer Bluttat im Morgengrauen. Die lebenslustige Polin Lydia erlebt den nächsten Tag nicht. Drei Männer haben Motiv und Gelegenheit, die Tat zu begehen. (...)

Der Wiesbadener Autor hält die Spannung über 485 Seiten aufrecht. Er nutzt dazu einen Kunstgriff: Das andere Land ist nicht nur ein Krimi. Das Buch überbrückt 25 Jahre Bockenheimer Geschichte. Es ist eine Milieustudie, auch ein Zeugnis der Stadtentwicklung. (...)

Wie nimmt eine Gesellschaft neue Bürger auf? Als Bereicherung, als Bedrohung? Und selbst wenn Neuankömmlinge willkommen sind, wie kann Integration gelingen? Engelhardt spielt mit diesen Ebenen, hat dem Werk den despektierlichen Zusatz Siesta am Kanakenbunker verliehen. Das Asylantenheim steht im Buch als Mahnmal, auch als Widerspruch zum so weltoffen und herzlich wirkenden Bockenheim. Zeigt auf, dass manches Fassade ist.

Atemberaubend ist, wie sich der Stadtteil wandelt. Wo gebaut wird, wie sich die Namen der Kneipen über die Jahre ändern, dabei ist es immer der gleiche Laden. Mit der Bausubstanz ändern sich auch die Milieus im Stadtteil. Neue Generationen rücken nach, erobern sich Wege und Plätze. (...)

Engelhardt schafft es, die Figuren lebendig werden zu lassen, indem immer wieder andere Protagonisten als Erzähler einspringen und ihre Sicht der Dinge schildern. Sympathisch auch: Irgendein Protagonist hat immer eine FR dabei. George Grodensky, Frankfurter Rundschau (Lokalausgabe, 7.4.2020)

 

Gerade habe ich Das andere Land ausgelesen. Sehr schön geschrieben. Thema von heute beobachtet durch Leute von heute. Die Leute sprechen, nicht der Autor. Wäre sonst auch ein politisches Statement, Essay oder oberlehrerhafter Aufsatz geworden. Der Aufbau ist durchdacht und gelungen. War es Mord, und wenn ja, wer ist der Täter bleibt nicht direkt beantwortet, so wie die Frage nach der Identität von Jenny Udvardy. Wer genau gelesen hat, weiß natürlich die Antworten. (...) Die Beschreibung der Örtlichkeiten – teils auch deren jüngere Geschichte – ist wunderbar. Habe selbst in Bockenheim gelebt. Einmal in der Basaltstrasse am Hessenplatz (Studentenbude) und später noch einmal in der Adalbertstrasse in einer Maisonette in der Ladengalerie, also jeweils in Bas Bockenheim. Ein Studienkollege, zu höherem bestimmt, hatte eine Villa in Haut Bockenheim. Großes Lesevergnügen! kja

 

Deinen Krimi Das andere Land fand ich sehr spannend, zuweilen lustig, manche Sätze ein wenig überfrachtet mit Informationen bzw. vollgepackt mit Ergänzungen... Alles in Allerm habe ich den ersten Teil verschlungen, mich keine Minute gelangweilt, und ich bin schon gespannt, wie er weitergehen wird. Die Arbeit mit den verschiedenen Perspektiven finde ich gut und einfühlsam und nachvollziehbar geschrieben – fand ich schon im Wolkenschieber-Roman so. Elke, Aachen

 

Bei deinem Buch Das andere Land oder Siesta am Kanakenbunker beeindruckt mich besonders die Form des Geschriebenen; genauer gesagt die gefundene Erzählstruktur, die es dir möglich macht, zahlreiche verschiedene Charaktere aus unterschiedlichen Milieus über einen 25 Jahre umfassenden Zeitraum hinweg in einen komplexen Handlungszusammenhang plausibel einzubinden. Das muss man erstmal hinbekommen. Wenn dabei dennoch das eine oder andere mysteriös und rätselhaft bleibt, tut das der Sache keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil gewinnt der Roman dadurch geradezu. Denn dass nicht alles offen auf der Hand liegt (und damit langweilig wäre), fordert die Leser und Leserinnen auf eine spannende Weise heraus und bietet ihnen damit Raum für ihren eigenen Erkundungsdrang. So jedenfalls ging es mir.

Und wenn ich nun noch gefragt würde, welche der Romanfiguren ich gern mal näher kennenlernen möchte, würde ich mich für die geheimnisvolle Jenny Udvardy entscheiden, um ihr bei einem Essen im Frankfurter Restaurant "Weinsinn" noch genauer auf die Spur zu kommen. Corby, Wiesbaden

 

(...) Ich mag deinen Ton, die Art, wie du Menschen, Landschaften und Paarbeziehungen beschreibst. Eine schwer zu definierende Mischung aus Poesie und Nüchternheit. Dem Franfurt-Bockenheim der 1990er Jahre hast du in dem Kriminalroman Das andere Land oder Siesta am Kanakenbunker ein Denkmal gesetzt. (...) cvs, IZ-Inside vom 4.2.2020

 

Ich habe Das andere Land oder Siesta am Kanakenbunker mit Interesse und Freude gelesen, es hat Spaß gemacht. Du hast eine gute und lebendige Schreibe. Ja bestimmte Entwicklungen scheinen nach 25 Jahren – wenngleich in anderem Umfeld und dadurch auch anders – wieder hochzukommen, Menschen entwickeln und verändern sich, wohin auch immer (z.B. der Gewerkschafter oder auch die Geflüchteten von 1990). Hilfe wird geleistet, was aber auch für die Helfenden eine eigene Dynamik entwickelt. Die Kinder werden erwachsen und bewegen sich in eine Welt, in der Vieles irgendwie im Fluss ist …, auch die Erwachsenen von 1990 und ihre Beziehungen.

Die Entwicklungen im von dir dargestellten Milieu sind anschaulich. Das macht es auch zu einem interessanten Buch, das gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift und darstellt, die ökonomischen Veränderungen hätten vielleicht noch etwas konkreter einbezogen werden können.

Mir gefällt zum Beispiel die Figur des Herbert Böckelmann. Eine Figur, die man so oder ähnlich aus den 70er oder 80er Jahren irgendwie kennt, zurückgezogen, bei Mutti lebend, wenig Eigeninitiative und Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen. Der dann aber mit der – auch vom Berufsleben geforderten – Dynamik der 90er Jahre sich weiterentwickelt und für sich selbst auch neue Ufer erschließen kann. Überhaupt werden so durch den „Bogen“ von 1990 bis 2015 die Veränderungen in verschiedenen Milieus sichtbar. Die Bockenheimer Szene (mit der ich mich nicht auskenne) wirkt gut beobachtet und erinnert. Ich finde auch gelungen, wie Du mit der Geschichte immer wieder an diese Bockenheimer Szene und dieses Milieu (z.B. die Kneipen) anknüpfst.

Der unaufgeklärte „Mord“ erlaubt immer wieder eine Rückblende auf 1990, die auch die Entwicklung der handelnden Personen verdeutlicht. Das Erscheinen der Texte von Jenny Udvardy erscheint mir allerdings unnötig. Es suggeriert, dass es in diesem Fall so etwas wie „die Wahrheit“ geben könnte und lässt wenig Raum für die Entwicklung der Erinnerungen der handelnden Personen, potentieller Mörder oder Totschläger oder anderer Anteilnehmender. Werner M., Wiesbaden